Am 30. Juni beschloss der deutsche Bundestag die Ehe für alle. Inzwischen wurde sie auch vom Bundesrat gebilligt. In der Schweiz sind wir noch weit davon entfernt.
Was es ausmachen kann, wenn es keine Ehe für alle gibt und/oder kein Adoptionsrecht für LBGTIQ. Die leibliche Mutter kann z.B. von heute auf morgen beschliessen, dass du nicht mehr Co-Mama bist bzw. es niemals warst.
Einfach so. Dass es in deinem Herzen und denen der Kinder anders aussieht, spielt keine Rolle. Ihr habt keine Rechte, die ihr juristisch schützen lassen
könntet. Ihr seid dem Goodwill und/oder der Willkür anderer ausgeliefert.
Ein aktuelles Beispiel. Stell dir vor: Ihr wart vor vielen Jahren ein Liebespaar.
Mit Freundinnen sasst ihr zusammen und spracht darüber, ob und wenn ja unter welchen Bedingungen ihr noch ein Kind haben möchtet. Mit einem schelmischen Grinsen erzähltest du, dein Sohn sei fast erwachsen. Somit habest du deine „Kinderaufzuchtpflicht“ bereits erledigt. Deine Liebste, nennen wir sie J., sagt, ein Kind zu haben könne sie sich vorstellen, aber sie brauche sicher noch drei Jahre, bis sie ihre Geschichte aufgearbeitet habe. Sie sei selber fühle sich noch zu bedürftig.
Kurz darauf fahrt ihr in die Ferien. Getrennt. Es ist ihr Wunsch. Und sie kommt schwanger von Bali zurück. Ohne dich miteinbezogen zu haben. Über deinen Kopf hinweg bestimmt sie allein die Beziehung. Nicht zum ersten Mal. Laut denkt sie darüber nach, eine Abtreibung machen zu lassen, wenn du das Kind nicht mit ihr zusammen haben willst. Du machst mit. Entscheidest dich mit ihr gemeinsam dieses Kind zu haben und aufwachsen zu lassen.
J. ist felsenfest überzeugt ein Mädchen zu bekommen. Zu einem Lesbentraumpaar gehört doch ein Mädchen. Du verstehst das nicht wirklich, aber mei, sie ist schwanger. Unterwegs im Tram, auf dem Weg vom Gynäkologen nach Hause, weint sie die ganze Zeit, weil sich herausgestellt hat, dass ein Junge unterwegs ist.
Als ihr ihre Eltern besucht und ihnen die frohe Botschaft überbringt, erklärt ihre Mutter dir, du könnest froh sein, dass ihre Tochter dich noch haben wolle. Wenn
der Mann einer von hier gewesen wäre, würde sie jetzt sicher lieber mit ihm zusammenleben. Dass ihre Tochter froh sein kann, dass du in der Situation mit ihr zusammenbleibst, kommt ihr in ihrer
Lesbenfeindlichkeit gar nicht in den Sinn. - Du magst die Muter sonst, aber dieser Teil mit ihr ist extrem schwierig.
Ihre Familie glaubt sowieso, du seiest für J. die erste und die Verführerin gewesen. J. lässt sie in diesem Glauben. Sie hat sie nie darüber aufgeklärt, dass du
nicht die erste für sie warst. Im Gegenteil. Sie war die erste für dich.
Am 25. März 1995 trefft ihr euch mit Vorständen von LOS und Pink Cross. Ein Teil der schwulen Männer scheint kaum glauben zu wollen, dass es lesbische Frauen mit Kindern gibt. Genauso wie ein grosser Teil der Schweizer Bevölkerung. Dabei gibts auch unter den Schwulen welche, die Kinder haben. Die Männer möchten von der Lesbenorganisation Hilfe beim Erreichen von Einreiseerleichterungen für ihre ausländischen Partner. Die LOS verlangt im Gegenzug Unterstützung, um das Ziel einer Ehe oder eheähnlichen Gemeinschaft und der Adoption zu erreichen.
Gleichzeitig seid ihr mitten im Umzug. Das Kind kommt am 26. März zur Welt. Ein Sonntagskind. Und ja, ein wunderbares Kind. Ihr seid von morgens um vier bis abends um 21:28 (Sommerzeitumstellung an diesem Sonntag) mit der Geburt beschäftigt. Du hast euch am Morgen um sechs über die Staffelegg nach Muttenz ins Geburtshaus gefahren, wo die Hebamme bis zu den Presswehen fast nichts mit euch zu tun hat. Du gehst mit deiner Frau spazieren, singst mir ihr, sitzt mit ihr drei Stunden im Schwimmbecken, bis sich beinahe Schwimmhäute bilden. Sie, vor dir sitzend, hat sich bei jeder neuen Wehe nach hinten in deine Arme geworfen. Auch bei den Presswehen sitzt du hinter ihr auf dem Bett und hältst sie in deinen Armen, stützt ihr den Rücken. Und das erste, was du zum Kindchen sagst, noch bevor sie es gesehen hat und bevor es den ersten Schrei tut, ist: „Ach, du bist das.“ Froh erstaunt, wie bekannt sich dieses Wesen anfühlt.
14 Tage vor der Geburt habt ihr den Mietvertrag für eine neue Wohnung erhalten. Sechs Tage nach der Geburt soll der Lastwagen mit den Möbeln am neuen Wohnort stehen. Du sagst J., dass ihr das unmöglich alleine schaffen könnt, dass ihr Hilfe braucht. Mit Hilfe fürs Packen ist sie einverstanden. Doch danach? Sicher nicht. Als du an einem der ersten Tage nach dem Umzug abends noch am Auspacken bist, schreit sie dich an, du sollest endlich aufhören, sie könne die Geräusche nicht mehr hören.
In der Geburtsanzeige steht, dass das Kind zwei Mütter hat. Einmal steht auch der Begriff „Mutter-Tante“. Ihr habt keine Vorbilder und seid unsicher, wie ihr
eure Rollen für euch und nach aussen definieren könntet. Ihr kommt auf Mama J. und Mama E. und fühlt euch damit wohl. Ein paar Jahre später zeichnet das fünfjährige Kind dich als Hasenkönigin.
Und du erfährst von einer Freundin, dass in alten Mythen die Hasenkönigin die Seelenführerin ist.
Nach der dritten Woche beginnt das Kind tagsüber zu schreien. Es beruhigt sich nur noch, wenn es mit einer von euch in der Badewanne liegt. Es wird insgesamt sieben Wochen lang jeden Tag fast den ganzen Tag durchschreien. Nur nachts kann es schlafen. Du trägst ein schreiendes Kind auf dem Arm durch die Wohnung. Auf dem Sofa liegt Mama J. und weint in einer postnatalen Depression.
Immer wieder bittest du sie einzuwilligen, dass ihr euch Hilfe holen könnt. Nachdem das Kind bereits vier Wochen lang geschrien hat, sieben Wochen nach der Geburt, willigt sie endlich ein, dass du eine Haushalthilfe organisieren kannst. Frau V. ist ein Segen. J. schaut, dass eine Frau der Spitex zwei oder dreimal in der Woche kommt und mit dem Kind zwei Stunden spazieren geht, damit ihr endlich mal ein bisschen Ruhe habt. In dieser Zeit beginnen auch Freundinnen ab und zu einzuspringen.
Dass ihr den Juni im Tessin verbringen könnt, bringt ein bisschen Entspannung. Der eine Götti besucht euch, J.'s Ex kommt vorbei, eine deiner Freundinnen kommt eben von einer Weltreise zurück und ist beim 3Monatsfest des Kindchens dabei.
Vor ein paar Monaten habt ihr in einem chinesischen Film ein Ritual gesehen, das euch gut gefallen hat. Nun hast du beim Bäcker einen Brotkranz bestellt. Der innere Teil des Brotes ist zum Essen und wird herausgebrochen, der Ring mit den Ähren aus Teig ist fürs Fest bestimmt. Du hebst das Kindchen durch den Ring, auf der anderen Seite nimmt Mama J. es in Empfang.
Die nächsten Wochen und Monate geht es auf und ab. Die Situation bleibt schwierig. Ihr seid beide gesundheitlich instabil und am Rand der Erschöpfung. Es entstehen manchmal Missverständnisse, die nicht immer ausgeräumt werden können, doch lieben tut ihr euch. Ja,
immer noch. Dass ihr unter den Lesben keine anderen Paare mit Kindern kennt, macht es euch aber nicht einfacher. Und manche Lesben finden es schlicht seltsam und machen sich lustig darüber, dass
eine Lesbe ein Kind zur Welt bringt. Unschön.
An einem Herbstabend ruft J. dich. Du hörst die Angst in ihrer Stimme, rennst zu ihr und siehst gerade noch, wie das Kindchen die Augen verdreht und wegdriftet. Du rufst es eindringlich, ziehst ihm eine Schicht Kleider aus und tätschelst es leicht. Die Erleichterung ist unbeschreiblich als es die Augen aufschlägt.
Ein anderes Mal musst du ihm ziemlich heftig den oberen Rücken klopfen, weil es eine Murmel geschluckt hat und zu ersticken droht. Es kann die Murmel rechtzeitig ausspucken. J. steht handlungsunfähig daneben.
Die ganze Zeit über verhält sich der grösste Teil ihrer Familie (allen voran die Mutter), als sei J. eine alleinerziehende Mutter. Du lehnst dich dagegen auf. Doch du hast keine Chance. J. hat nichts einzuwenden. Am neuen Ort könnt ihr nicht mal mehr Hand in Hand aus dem Haus gehen. „Wir wissen doch nicht, wie die neuen Nachbarn reagieren“, ist ihre Sorge.
Eure Liebe geht dabei langsam aber sicher in die Brüche. Irgendwann kannst du nicht mehr. Du trennst dich. Sorgst aber dafür, dass ihr nach dem durch die Trennung fälligen Umzug im neuen Haus in zwei Wohnungen wohnen könnt, damit das Kind beide Mamas bei sich hat. Klar ist allerdings, dass das Kind bei Mama J. wohnt. Du selbst hast schliesslich keine Rechte.
Als das Kind ca. 2 ½ Jahre alt ist, bekommst du mit, wie sein um ein halbes Jahr älterer Spielfreund erzählt, sie hätten gesehen, dass aus dem „Schnäbi“ seines
Papas Milch gekommen sei. Du hast zuvor festgestellt, dass das Kind um den Genitalbereich herum über mehrere Wochen schon Ausschläge hat. Jetzt weisst du, warum. Weil du nichts beweisen kannst,
machst du keine Anzeige. Du verlangst aber von deiner Ex, dass sie euren Sohn nicht mehr dahin bringt und bist entsetzt, als du erfährst, dass sie ihn wieder zum Hüten dahin gebracht
hat.
Das Kind kommt in den Kinderhort, in den Kindergarten und überall besteht es gegen den Widerstand der anderen Kinder darauf, dass es zwei Mütter hat. Irgendwann hat Mama J. eine neue Partnerin. Du spielst mit ihr und dem Kind auf der Wiese vor der Wohnung Fussball. Mama J. kommt auf den Balkon und ihr lacht: „Das Kind hat nun drei Mütter.“
Jahre später lernt Mama J. einen Mann kennen. „Er wirbt um mich“, erzählt sie dir. Du denkst noch: „Reicht das um eine Beziehung einzugehen?“ Wie auch immer, es ist ihr Leben.
Kurz darauf wirft sie dir an den Kopf: „Du bist sicher nicht Co-Mama“. Was bisher nie bestritten wurde, gilt auf einmal nicht mehr. Dir verschlägt es die Sprache. Wie sich dagegen zur Wehr setzen, ausser mit einem „doch“ Mit dem Mann verstehst du dich. Auch das missfällt ihr. Gleichzeitig ist er wegen ihrer lesbischen Vergangenheit verunsichert.
Als du ein ein halbes Jahr später ein paar Tage bei ihr zu Besuch bist, kommt es zu einem weiteren Konflikt. Du hast eine Kerze angezündet, die du selber mitgebracht hast. Eine Freundin, die mit am Tisch sitzt, hat die beiden anderen Kerzen angezündet. Als am nächsten Morgen die Freundin weg ist, schreit J. dich an, was dir einfalle, ihre Kerzen anzuzünden. Und du nähmest den ganzen Raum ein – du hast deine Medikamente und ein Päckchen Taschentücher auf ihren Küchentisch gelegt. Sie nehmen etwa 20 cm2 auf der Tischfläche ein. Der Tisch hat einen Durchmesser von ca. ein Meter zehn. Sie schreit und schreit. Und nun reicht es. Du packst innert ein paar Minuten deine Sachen und fährst nach Hause. Du brichst den Kontakt mit ihr ab. Schreibst ihr zum Abschied noch einen Brief, indem du ihr mitteilst, dass du die Co-Mama bist, auch wenn ihr das nicht mehr in den Kram passt.
Zum Kind hältst du weiterhin Kontakt. Natürlich. Du hast dich ja nur von der anderen Mama getrennt. Du triffst dich mit ihm in der Stadt, er kommt zu dir in die Ferien, er lädt dich zu Vorstellungen ein, in denen er mitspielt, ihr besucht Lesungen oder Konzerte zusammen, geht spazieren, ins Museum oder ins Kino, trefft euch zum Mittag- oder Abendessen ...
Dreieinhalb Jahre nach dem zweiten Bruch mit J. bittet der junge Mann dich, den Kontakt wieder aufzunehmen, ob er J. deine neue Telefonnummer geben dürfe. Etwas
später erzählt er dir, er fühle sich überfordert vom ihrem Schmerz. Sie müsse soviel weinen und er könne ihr nicht helfen. Ihr Partner liege im Sterben. Ein Wunder, dass er überhaupt etwas sagt,
so loyal wie er sich ihr gegenüber verhalten muss. Wie hilflos muss er sich gefühlt haben, als er seine andere Mama bittet, den Kontakt wieder aufzunehmen.
(Einschub: Eine katholische Theologin vor ein paar Wochen zu dir: "Das war sicher nicht so. Das ist nur deine Interpretation. J. hat ja sooo viele Freundinnen, die ihr helfen." Du hättest ihr erwidern können: „Erstens: hör auf mir meine Wahrnehmung abzusprechen und Thamiam einen Lügner zu nennen und zweitens: keine dieser Freundinnen kennt J. so wie ihre lesbischen Partnerinnen. Drittens: was scheint dir so abwegig, dass ein Kind den anderen Elternteil um Hilfe bittet!“ Doch die Folgen des Schocks verunmöglichen dir adäquate Antworten.)
Wieder ein paar Monate später. Maimaht und du feiert eure nahe beieinander liegenden Geburtstage nach. Der junge Mann war unterwegs gewesen. Ihr sitzt unter eurem Lieblingsbaum, der Walnuss. Du hast Muffins gebacken, ihr trinkt Tee. Er erzählt dir von seinen Plänen. Bisher hat er Jura studiert. Aber es ist nicht seins. Du hast dich im Stillen auch schon gefragt, warum er keinen Beruf erlernt, in dem er seine Begabungen mehr entfalten kann und ihm nahe gelegt, sein Zeichnen, Malen und Musizieren in seiner Freizeit regelmässig zu pflegen. Nun will er sich auf die Aufnahme an die Musikakademie vorbereiten. Offenbar hat er jetzt doch einen eigenen Weg gefunden.
Allerdings scheint er dir müde zu sein. Er ist ein kräftiger junger Mensch und dennoch ist ihm die Tasche, die er von sich aus tragen wollte, zu schwer: sechs
Muffins, ein Liter Tee, zwei Tassen, drei Deziliter Wasser, seine kleine, leichte Spiegelreflex, deine schwerere Kamera. Du hast deine Kamera herausgenommen.
Auf der Bank unter der Walnuss sitzend, bittest du ihn ein grosses Labor machen zu lassen, weil dir die Schwäche beim Tragen der Tasche merkwürdig erscheint. Er sagt, er wird das machen, wenn er die Woche drauf von Wien zurück sein wird. Er wird am Dienstag zurückkommen. Beim Abschied umarmst du ihn fester als sonst, weil du den Eindruck hast, dass er jetzt Bestärkung braucht.
Zwei Wochen später wirst du erfahren, dass Mama J. ihn massiv unter Druck gesetzt hatte, sein Jurastudium fortzusetzen. Erst was „Richtiges“ lernen, bevor er Sänger/Musiker werden könne. War das der Grund? Oder war es, weil er sich zu lösen begann, eigenständiger wurde?
Zuhause stellst du fest, dass er seine Kamera in deiner Tasche vergessen hast. Am nächsten Tag, es ist der 14. April, ein Tag vor Karfreitag triffst du dich
nochmals mit ihm. Ihr trinkt zu Hause einen Kaffee zusammen, ihr setzt euch zusammen an den Rhein, geht dann noch in die Bibliothek und verabschiedet euch da voneinander. Am nächsten Tag wird er
mit seinen Freund*innen von der Jungen Oper über Ostern nach Wien fahren. Es ist das letzte Mal, dass du ihn lebend gesehen hast.
Und dann das Telefon. Am Morgen des 26. April um 10:40. Du denkst, er ruft an, weil du nach seiner Wienreise öfter versucht hast Kontakt aufzunehmen. Er hat auch schon versucht, dich anzurufen und ihr habt euch verpasst. Oder J. ruft endlich zurück, nachdem du auf Band gesprochen hast, es solle doch bitte eins von ihnen zurückrufen. Es ist eine fremde Nummer. Und doch ist es J.: „De Thamiam läbt nüm“. Sie weint. Du denkst, du hast nicht richtig verstanden. Das kann ja nicht sein. Als sie den Hörer an seine Gotte weitergibt, hat sie dir noch nicht gesagt, was passiert ist. Du weisst nur, dass es gestern passiert ist. Du denkst, es war ein tödlicher Unfall. Das Gespräch ist kurz. Du legst auf. Dann schreist und tobst du. Du kniest und schlägst mit den Fäusten auf den Boden. Nein. Neeeeeeeein. Das kann nicht sein. Das darf nicht wahr sein. Neeeeeeeeeein. Nein. Nein. Nein. Du hebst deine Arme, deine Hände bewegen sich in der Luft, als müssten sie etwas abwehren. Du weinst und weinst und weinst. Du wirst feststellen, dass es möglich ist Muskelkater am Hals und im Gesicht zu haben. Noch nie in deinem Leben, in dem so viel Gewalt und Macht-Missbrauch vorkamen, hast du so viel geweint wie in diesen Tagen.
Eine ganze Woche lang hat sie dich nicht informiert. Acht Tage lang hat sie dir nicht Bescheid gegeben, dass das Kind so schwer erkrankt war. Hat nicht
zurückgerufen. Obwohl sie wusste, dass du mehrmals angerufen hattest. Acht Tage lang hat sie dich aus allen Entscheidungen ausgeschlossen. Und jede ihrer Weichenstellungen führte zum Tod
des Kindes. Aber das wirst du erst später wissen.
Zwei Tage später ein Anruf. Du könnest J. jetzt bei der Gotte des Kindes besuchen. Natürlich gehst du hin. Dein Mitgefühl mit ihr ist gross und das erbarmungslose Leid will geteilt sein. Als du jedoch die Worte Co-Mama aussprichst, unterbricht sie dich sofort: „Du wolltest doch gar nicht Co-Mama sein.“ „Trotz des klaren Briefes, den du ihr geschrieben hattest. "Unglaublich, dieses Verdrehungs- und Verdrängungspotential!“, denkst du ein paar Tage danach. Du willst dich aber in dieser Situation nicht mit ihr streiten. Bist auch selber viel zu verletzlich und drum rum sind lauter Frauen, die das Gefühl haben, J. alleine habe Schutz nötig. Auf ihren Vorwurf kannst du also für den Moment nur antworten: „Da sind wir verschiedener Meinung.“
Trotzdem fragt sie dich an diesem Nachmittag, ob du bei der Abschiedszeremonie etwas sagen möchtest. Du weisst es noch nicht. Als du dann aber einen Text
geschrieben hast, den du bei der Zeremonie vorlesen möchtest, wird dir von der Zeremonienmeisterin, der oben bereits erwähnten katholischen Theologin, beschieden, dass sie – wer auch immer dieses
„sie“ ist, entschieden hätten, dass du doch nichts lesen oder sagen sollst.
Bei der Abschiedszeremonie wirst du dann nicht mal erwähnt. Zwei Freundinnen, die neben dir sitzen und festgestellt haben, dass sie die J., von denen du ihnen erzählt hast, aus den 80ern und 90ern kennen, sind erzürnt wie ich die Tage zuvor. Es tut gut, ihren Zorn zu spüren. Andere erkennen also auch, wie übel das Verhalten von J. und einigen aus ihrer (Hetero-) Entourage ist.
J. ist offenbar in den letzten Jahren ganz in ihrer Rolle als alleinerziehende Mutter aufgegangen. Doch du hast in der Aufbahrungshalle das Kind gehütet. Und wenn du gefragt wurdest, in welcher Beziehung du zum Kind gestanden seist, hast du gesagt: „ Ich war die Co-Mama.“ Das ist für J. offenbar zu gefährlich. Da ist es doch scheinbar besser, die Co-Mama weiter zu verleugnen und totzuschweigen statt sich der Maske zu entledigen.
Dass diese katholische Theologin bei dem grausamen Spiel mitmacht, dich mit Telefonanrufen und Mails und mittels Manipulationsversuchen in deiner Trauer stört und damit ihre seelsorgerischen Pflichten verletzt, ist extrem belastend. Viele Tage werden vergehen, bis es dir gelingt, dank des Mitgefühls anderer Menschen deine Trauer zurückzugewinnen und ihr angemessen zu begegnen.
Bestimmt würde die Ehe für alle bzw. das Adoptionsrecht für LBGTIQ solche unfreundlichen, menschenverachtenden und diskriminierenden Machenschaften nicht gänzlich
aus der Welt schaffen. Homofeindlichkeit und Selbsthass von Lesben (LBGTIQ) wären nicht einfach aus der Welt, doch wären die Rechte der Co-Mütter/Väter und ihrer Kinder als schützenswerter
Bestandteil dieser Gesellschaft anerkannt.